Abwehren oder Abwarten?

Tomaten erkennen Schadinsekten und richten ihre Verteidigungsmechanismen danach aus

27. Januar 2012
Wenn Pflanzen von Schadinsekten angegriffen werden, dann können sie weder davonlaufen noch kämpfen. Statt sich also wie Tiere zwischen „Fight or flight“ zu entscheiden, hat ihnen die Evolution zwei andere Strategien zur Verfügung gestellt. Entweder kann die Pflanze durch die Produktion von Giftstoffen die Angreifer abwehren oder aber ihre wertvollen Nährstoffe in entfernten Gewebeteilen, wie zum Beispiel der Wurzel, in Sicherheit bringen, damit ihr nach dem Angriff größere Ressourcen für erneutes Wachstum und Vermehrung zur Verfügung stehen.

Welcher Weg eingeschlagen wird, hängt vom angreifenden Insekt und seinen möglicherweise vorhandenen Resistenzen gegen die Pflanzengifte ab. Alisdair Fernie und Sonia Osorio vom Max-Planck-Institut für Molekulare Pflanzenphysiologie haben gemeinsam mit amerikanischen Wissenschaftlern die Auswirkungen von unterschiedlichen Schädlingen auf den Primärstoffwechsel der Pflanze untersucht.

Pflanzen können Giftstoffe produzieren um sich gegen Schadinsekten zu verteidigen

Pflanzen und Insekten, die sich evolutionär gemeinsam entwickelt haben, befinden sich in einem ständigen Wettrüsten. Schädlinge, die sich nur von einer Pflanzenart ernähren, sogenannte Spezialisten, haben oftmals Resistenzen gegen die toxischen Abwehrsubstanzen dieser Spezies entwickelt. Ein Beispiel dafür ist der Tabakschwärmer (Manduca sexta), der Nachtschattengewächse wie Tomate, Kartoffel oder Tabak als Hauptnahrungsquelle heranzieht. Er ist resistent gegen das ansonsten sehr potente Neurotoxin Nikotin, welches von den Tabakpflanzen produziert wird und auf andere Insekten mit einem breiteren Nahrungsspektrum, die Generalisten, tödlich wirkt.

Zu diesen zählt auch der Baumwollkapselbohrer (Helicoverpa zea), ein Schädling, der nicht wählerisch ist und sich von den unterschiedlichsten Pflanzen wie Mais, Tomate oder Baumwolle ernähren kann. Am Beispiel der Tomate untersuchten die Forscher, wie Pflanzen als Reaktion auf Fraßfeinde ihren gesamten Stoffwechsel gewebespezifisch umprogrammieren und ob sie abhängig von der Art des Schadinsekts – Spezialist oder Generalist – eine bestimmte Verteidigungsstrategie favorisieren.

Die Produktion von Abwehrstoffen kostet die Pflanze Kraft

Um durch die Produktion von Giftstoffen dem Angreifer Widerstand zu leisten, muss die Pflanze in dem verletzten Gewebe mehr Energie und Vorläufermoleküle für die Produktion der Toxine bereitstellen. Die andere Maßnahme, die Erhöhung der Toleranz der Pflanze durch eine Umverteilung der Nährstoffe, wirkt sich im gesamten Pflanzengewebe direkt auf den Primärstoffwechsel aus. Die Forscher vermuteten, dass deshalb sowohl der Gehalt an Zuckern als auch an Aminosäuren in den beschädigten Blättern stark sinken und sich stattdessen im Leit- und Speichergewebe erhöhen würde.

Pflanzen erkennen am Speichel, welches Insekt sie auffrisst

Um diese Vermutungen zu verifizieren durften M. sexta und H. zea sich an Tomatenblättern sattfressen. Anschließend maßen die Wissenschaftler insgesamt 56 Stoffwechselzwischenprodukte in Wurzel, Sprossachse, Sprossspitze und Blattgewebe. Zum Vergleich analysierten sie auch Gewebe von unbeschädigten und von mechanisch verletzten Pflanzen.

Tatsächlich zeigten die Tomaten ganz unterschiedliche Reaktionen, die davon abhingen, welche Raupe an ihnen geknabbert hatte oder ob Blattstücke der Heckenschere zum Opfer gefallen waren. Wie bereits aus früheren Studien bekannt war, erkennen Pflanzen die einzelnen Schädlinge an ihrem Speichel. Abhängig von dessen Zusammensetzung werden in den verletzten Blättern bestimmte Hormonantworten ausgelöst und Signalwege in Kraft gesetzt.

Wenn eine Verteidigung sich nicht lohnt, werden die Nährstoffe in Sicherheit gebracht

Identifizierten die Pflanzen den Spezialisten M. sexta so transportierten sie ihren wertvollen Stickstoff in Form von Aminosäuren in die Wurzeln, wo er gespeichert oder zum Wurzelwachstum verwendet werden kann. Bei von H. zea befallenen Pflanzen fanden die Forscher stattdessen eine erhöhte Konzentration der aromatischen Aminosäure Tryptophan – einem Vorläufer pflanzeneigener Abwehrstoffe – in Spross und Sprossspitze.

„Die Veränderungen im Primärstoffwechsel der Pflanzen sind schnell, systemisch und vor allem spezifisch“, fasst Fernie die Ergebnisse zusammen. Generell waren die Auswirkungen auf den gesamten Stoffwechsel bei den Schäden durch Insekten wesentlich höher als bei mechanischen Verletzungen des Pflanzengewebes. Pflanzen wissen eben genau, wann sich die Verteidigung lohnt.

[CS]

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