Der innere Kampf der Nachtkerze

Chloroplasten von Mutter und Vater veranstalten ein evolutionäres Wettrüsten

14. März 2019
Bereits Gregor Mendel, einem Augustinermönch im 19. Jahrhundert, war klar, jeweils die Hälfte des Erbguts eines Nachkommens stammt von Mutter und Vater. Allerdings trifft dies nur auf das Genom im Zellkern zu. Auch Organellen, wie Mitochondrien und Chloroplasten besitzen ein kleines Erbgut, welches allerdings ausschließlich von der Mutter weitergegeben wird. Zumindest in den meisten Fällen. Aber werden die Organellen über die Eizelle der Mutter und auch über den Pollen des Vaters an die  Nachkommen weitergegeben, kommt es häufig zu Konkurrenzproblemen zwischen den von Vater und Mutter stammenden Organellen. Die Mechanismen dahinter waren bisher aber kaum verstanden.
Ein Team von Wissenschaftlern um Stephan Greiner vom Max-Planck-Institut für Molekulare Pflanzenphysiologie (MPI-MP) in Potsdam hat nun überraschenderweise herausgefunden, dass die Vererbung des Chloroplasten-Genoms über den Fettsäure-Stoffwechsel reguliert wird. Die Arbeit wurde in der Fachzeitschrift PNAS veröffentlicht.

Vererbung ist ein komplexes Thema. Welche Gene stammen von der Mutter und welche wurden vom Vater vererbt? Feststeht, Mutter und Vater vererben je 50 Prozent ihres Erbguts, sowohl bei Pflanzen, als auch bei Tieren und Menschen. Allerdings ist das nicht alles, denn neben dem eigentlichen Erbgut im Zellkern gibt es auch Organellen, die ein eigenes, kleines Genom besitzen. Hierzu zählen die Mitochondrien und im Fall der Pflanzen zusätzlich die Chloroplasten. Diese Organellen werden im Normalfall nur von der Mutter an die Nachkommen weitervererbt, allerdings gibt es auch Ausnahmen. 

Solch eine Ausnahme ist die Nachtkerze, eine Pflanze die ursprünglich aus Amerika stammt und im 17. Jahrhundert in Europa eingeschleppt wurde. Heute ist sie fester Bestandteil der mitteleuropäischen Flora.
In der Pflanzenforschung ist die Nachtkerze eine beliebte Modellpflanze, wenn es um die Erforschung der Organell-Vererbung geht, denn beide Eltern der Nachtkerze können das Chloroplasten-Erbgut an ihre Nachkommen vererben. Aber genau das kann zu Problemen führen, denn es ist bekannt, dass die mütterlichen und väterlichen Organellen miteinander in Konkurrenz treten. Sie können im Nachkommen nicht nebeneinander existieren, da sie um zelluläre Ressourcen konkurrieren, weshalb sich eine Variante durchsetzen muss.

Aber wie fechten Chloroplasten diesen Kampf aus? Diese Frage konnte lange Zeit nicht beantwortet werden. Das Forscherteam von Stephan Greiner am MPI-MP und Kolleginnen und Kollegen aus Kanada, Polen und den USA sind dem Ganzen in ihrer aktuellen Studie auf die Spur gekommen. Sie konnten zeigen, dass der Fettsäure-Stoffwechsel ganz entscheidend dafür verantwortlich ist, welcher Chloroplast dem anderen überlegen ist. „Am überraschendsten war für uns die Entdeckung, dass der „Kampf“ zwischen den Chloroplasten-Genomen nicht direkt auf Genebene, also im Erbgut selbst, entschieden wird, sondern dass der Stoffwechsel hier eine wichtige Rolle spielt“, stellt Stephan Greiner fest.

Das Forscherteam identifizierte unter anderem ein Enzym, welches den ersten und somit auch limitierenden Schritt im Fettsäure-Stoffwechsel katalysiert. In ihren Analysen konnten die Forscher*innen feststellen, dass das entsprechende Gen, das für die Synthese des Enzyms verantwortlich ist, einer rasanten Evolution unterliegt. Diese schnellen Veränderungen ermöglichen ein Wettrüsten zwischen den väterlichen und mütterlichen Chloroplasten. Sie resultieren in Mutationen, die zu verbesserten Eigenschaften der Chloroplasten führen können. Durch eine veränderte Fettsäure-Synthese könnte sich so z.B. die Zusammensetzung der Chloroplasten-Hülle verändern, was ein Vorteil sein kann.

Die Erkenntnisse der Forscher*innen tragen dazu bei Mechanismen der Evolution genauer zu verstehen. Eine große Konkurrenz zwischen den mütterlichen und väterlichen Chloroplasten kann nämlich auch darin enden, dass gar keine lebensfähigen Nachkommen entstehen. In diesem Fall sind die Elternpflanzen inkompatibel. Mit dem Wissen um die Mechanismen dahinter, wäre es also durchaus denkbar, dass man solche Grenzen überwindet und zukünftig neuartige Kreuzungen durchführen kann, um z.B. ertragreichere oder widerstandsfähigere Nutzpflanzen zu züchten.

UG

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