AIDS-Impfstoffproduktion in Algen

Entwicklung einer neuen Produktionsstätte für Medikamente

9. Februar 2016
Pflanzen und Mikroorganismen werden vielfältig zur Medikamentenproduktion genutzt. Die Produktion solcher Biopharmazeutika in Pflanzen nennt man auch „Molecular Pharming“. Sie ist ein stetig wachsendes Feld der Pflanzenbiotechnologie. Hauptorganismen sind vor allem Bakterien, Hefe und Nutzpflanzen, wie Mais und Kartoffel – Pflanzen mit einem hohen Pflege- und Platzbedarf. Forscher um Prof. Ralph Bock am Max-Planck-Institut für Molekulare Pflanzenphysiologie in Potsdam-Golm wollen mit Hilfe von Algen ein ressourcenschonenderes System für die Herstellung von Medikamenten und Impfstoffen verfügbar machen. Die Praxistauglichkeit untersuchten sie an einem potentiellen AIDS-Impfstoff.

Die Produktion von Arzneimitteln in Pflanzen und Mikroorganismen ist nicht neu. Bereits 1982 gelang es, durch den Einsatz gentechnischer Methoden, Bakterien so zu verändern, dass sie das für Diabetiker notwendige Insulin produzieren können. Dieses Medikament ist zu 100% mit dem Immunsystem des Patienten kompatibel und die gentechnische Herstellung erspart zudem das aufwändige Isolieren aus den Bauchspeicheldrüsen von mehreren Milliarden getöteter Schweine und Rinder im Jahr.
Auch Pflanzen, wie Tabak, Mais, Reis, Soja, Raps und Kartoffeln, werden als Produktionsstätten genutzt. Gleichzeitig dienen die meisten dieser Pflanzen aber auch Mensch und Tier als Nahrungs- bzw. Futtermittel, was zu einem Nutzungskonflikt führen kann. Darüber hinaus sind diese Pflanzen häufig sehr anspruchsvoll, was Raumbedarf, Anzuchtbedingungen und Pflege betrifft.

Algen dagegen bieten diesbezüglich Vorteile: Sie sind anspruchslos, sehr effizient in ihrer Ressourcennutzung und wachsen schnell. Algen bieten außerdem die Möglichkeit, direkt verzehrt zu werden. Das würde eine kostenintensive Aufreinigung der Produkte unnötig machen, so dass eine Einsparung von bis zu 60% der Produktionskosten möglich ist. In der Zukunft könnten so z.B. Impfstoffe hergestellt werden, deren Verabreichung schmerzfrei durch orale Aufnahme möglich ist.

Unter Forschern beliebt ist die einzellige Alge Chlamydomonas reinhardtii, eine im Süßwasser vorkommende Grünalge, die weltweit verbreitet ist. Über die letzten drei Jahrzehnte wurde sie zu einem Modellorganismus der Grundlagenforschung, weshalb sie bestens charakterisiert ist. Den Forschern stehen verschiedenste Werkzeuge für ihre Arbeit mit Chlamydomonas zur Verfügung, auch gentechnische Methoden. Aber warum werden Algen nicht schon längst umfangreich in der Biotechnologiebranche genutzt?

Algen sind eine sehr vielfältige Organismengruppe, in der die Anwendung der heute bekannten molekularen Techniken oft schwierig ist. Viele Werkzeuge, die für die einzellige Alge Chlamydomonas entwickelt wurden, können bisher nicht in anderen Algen genutzt werden, welche z.B. mehr Biomasse produzieren oder besser in Salzwasser wachsen. Außerdem ist die gentechnische Veränderung von Chlamydomonas nicht ganz unkompliziert. Die Alge nutzt die neue Geninformation meist nicht im gewünschten Umfang und stellt überdies die Produktion des vom Gen verschlüsselten Proteins oftmals mit der Zeit sogar wieder ein. Prof. Ralph Bock und sein Forschungsteam haben es sich zur Aufgabe gemacht, Algenstämme zu erzeugen, die Fremdgene besser in Proteine übersetzen, um sie wettbewerbsfähig mit anderen biotechnologischen Produktionsplattformen zu machen.

Die Forscher haben zunächst eine Geninformation optimiert, die dazu genutzt werden kann, ein für unser Immunsystem gut erkennbares Antigen des HI-Virus in Algen produzieren zu lassen,  so dass sie von den Algen „verstanden“ und in das entsprechende Protein übersetzt werden kann. Hierfür wurde die Sequenz des Gens so verändert, dass sie typische Eigenschaften des Algenerbguts aufweist. „Außerdem haben wir einen Algenstamm gezüchtet, der die fremden Gene besser ablesen kann“, erklärt Dr. Juliane Neupert, Wissenschaftlerin am Golmer Institut. Das fremde, optimierte Gen, das als potentieller Bestandteil für einen AIDS-Impfstoff gilt, wurde daraufhin in den neuen Algenstamm eingefügt, um das neue System auf seine Praxistauglichkeit zu prüfen.

Weltweit wurden bisher 78 Mio. Menschen mit HIV infiziert, ein Virus, an dem bereits mehr als 39 Mio. Menschen gestorben sind. Eine jährliche Neuinfektion von ca. 2 Mio. Menschen, überwiegend in den Entwicklungsländern, unterstreicht die dringende Notwendigkeit einer Impfstoffentwicklung. In der mehr als 30-jährigen HIV-Forschung konnten Virusproteine identifiziert werden, die effizient von unserem Immunsystem erkannt werden und somit Bestandteil eines zukünftigen Impfstoffes sein könnten. Eines dieser Proteine ist das sogenannte p24-Protein.
„Wir konnten eine optimierte p24-Genvariante herstellen, die wir mit Hilfe gentechnischer Methoden in den verbesserten Chlamydomonas-Stamm eingebaut haben“, erklärt Rouhollah Barahimipour, Erstautor der Studie. „Die Alge war nun tatsächlich in der Lage, dieses verbesserte Gen abzulesen und das p24-Protein anzureichern“, bestätigt er.

Die Golmer Forscher konnten die Hauptursachen für die bisherigen Probleme bei der Bildung  fremder Proteine in Chlamydomonas aufklären und gleichzeitig eine neue Strategie zur effizienten Proteinproduktion in dieser Alge entwickeln. Ihre Arbeit zeigt, dass das System Alge eine vielversprechende Zukunft in der Biotechnologie hat. Sobald ein neuer Impfstoff gefunden ist, besteht nun die Möglichkeit, diesen in der Alge schnell und effizient zu produzieren. Ihre Ergebnisse veröffentlichten die Forscher in der Fachzeitschrift „Plant Molecular Biology“.

UG

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