Wer nicht weglaufen kann, muss sich anpassen – Frosttoleranz bei Pflanzen

Forschungsbericht (importiert) 2007 - Max-Planck-Institut für Molekulare Pflanzenphysiologie

Autoren
Hincha, Dirk
Abteilungen
Transkript-Profiling (PD Dr Dirk Hincha)
MPI für molekulare Pflanzenphysiologie, Potsdam
Zusammenfassung
Frost ist einer der wichtigsten Stressfaktoren für Pflanzen, der die Produktivität in der Landwirtschaft erheblich einschränkt. Pflanzen der gemäßigten Klimazonen können sich an niedrige Wachstumstemperaturen anpassen und dabei ihre Frosttoleranz erhöhen. Die Analyse verschiedener Populationen der Modellpflanze Arabidopsis thaliana (Ackerschmalwand) aus unterschiedlichen Klimaten zeigt die Komplexität dieser Anpassungen auf physiologischer und molekularer Ebene.

Da Pflanzen festsitzende (sessile) Lebewesen sind, haben sie nicht die Möglichkeit, wie die meisten Tiere, ungünstigen Umweltbedingungen auszuweichen. Pflanzen waren daher im Laufe ihrer Evolution gezwungen, sich an widrige Bedingungen wie Temperaturextreme, Trockenheit oder Bodensalinität sowohl auf anatomisch-morphologischer wie auch auf physiologischer Ebene anzupassen. Frosttoleranz ist für Pflanzen gemäßigter und kalter Klimazonen ein entscheidender Faktor für die geographische Verbreitung. In der Landwirtschaft kann Frost darüber hinaus zu katastrophalen Ernteverlusten führen und die Ausweitung von Anbauflächen begrenzen. Pflanzliche Frosttoleranz ist ein komplexes, quantitatives Merkmal, dessen Ausprägung nicht dem einfachen Mendel´schen Vererbungsschema folgt.

Pflanzen der gemäßigten Breiten sind in der Lage, während einer Akklimatisierungsphase von mehreren Tagen bis Wochen bei niedrigen Temperaturen über dem Gefrierpunkt ihre Frosttoleranz zu erhöhen. Unter natürlichen Bedingungen findet dieser Prozess im Herbst statt und bereitet die Pflanzen auf das Überleben im Winter vor. Im Frühjahr wird diese Akklimatisierung wieder rückgängig gemacht. Physiologische und biochemische Anpassungen in Pflanzen während der Akklimatisierung sind vielfach untersucht worden. Dabei ist es allerdings nur selten gelungen, Kausalketten zwischen physiologischen Veränderungen während der Akklimatisierung und der Zunahme der Frosttoleranz aufzudecken. Einer der Gründe dafür ist, dass nicht alle Veränderungen, die man an einer Pflanze in der Kälte beobachtet, direkt mit der Frosttoleranz zusammenhängen. Viele Veränderungen stellen generelle Anpassungen des Metabolismus an die niedrigen Wachstumstemperaturen dar. Diese verschiedenen Prozesse sind jedoch häufig nicht eindeutig unterscheidbar.

Die Erforschung der molekularen Grundlagen der pflanzlichen Frosttoleranz hat sich in den letzten Jahren zunehmend der Ackerschmalwand (Arabidopsis thaliana) bedient. Arabidopsis ist einer der wichtigsten pflanzlichen Modellorganismen und zeigt eine gute Kälteakklimatisierung. Da das Genom dieser Pflanze vollständig sequenziert ist, eignet sie sich gut für Experimente, bei denen die globale Regulation des Metabolismus und der zugrunde liegenden Genexpression untersucht werden sollen. Zusätzlich hat diese Art den Vorteil, dass sie im gesamten eurasischen und nordafrikanischen Raum verbreitet ist. Die weite geographische Verbreitung zwische Äquator und Polarkreis hat zur Ausbildung von Akzessionen (Ökotypen) geführt, die an die Bedingungen ihres jeweiligen Habitats angepasst sind. Diese natürliche Diversität innerhalb einer Art ist eine exzellente Basis für das gezielte Studium von pflanzlichen Anpassungen an unterschiedliche Umweltbedingungen.

Frostschäden und Akklimatisierung bei Arabidopsis

Um Unterschiede in der Frosttoleranz und der Akklimatisierung unterschiedlicher Ökotypen untersuchen zu können, muss man zunächst Frostschäden quantifizieren können. Da Membranen die frostempfindlichsten zellulären Strukturen sind, basieren die meisten Tests für Frostschäden an Pflanzen auf Messungen der Intaktheit zellulärer Membransysteme. Für den in der Literatur am häufigsten verwendeten Test werden Bätter unter kontrollierten Bedingungen auf verschiedene Temperaturen gefroren. Nach dem Auftauen werden die Blätter in destilliertem Wasser inkubiert und dann mit Hilfe einer Leitfähigkeitselektrode die aus den Blättern ausgetretenen Elektrolyte im Wasser quantifiziert. Eine Auftragung des Elektrolytverlustes gegen die Temperatur (Abb. 1) erlaubt es, Unterschiede zwischen Blättern von akklimatisierten und nicht akklimatisierten Pflanzen sichtbar zu machen. Aus diesen Daten kann die LT50 errechnet werden, das ist die Temperatur, bei der die Blätter 50% ihrer Elektrolyte verloren haben. Dieser Wert kann dann für quantitative Vergleiche herangezogen werden [1, 2].

Alternativ kann auch die Inaktivierung der Photosynthese über Veränderungen der Fluoreszenz-Eigenschaften der plastidären Membranen in den Blättern bestimmt werden. Abbildung 2 zeigt, wie über bildgebende Verfahren die temperaturabhängige Inaktivierung der Photosynthese und die Unterschiede zwischen akklimatisierten und nicht akklimatisierten Pflanzen dargestellt werden können. Zusätzlich geben diese Messungen auch Aufschluss über die Verteilung der Frostschäden über die Blattfläche.

Natürliche Diversität in Arabidopsis

Als Beispiel für die Diversität innerhalb der Spezies Arabidopsis thaliana zeigt Abbildung 3 Pflanzen der Akzessionen C24 und Tenela (Te). Bei C24 handelt es sich um eine Laborlinie, deren genaue Herkunft unklar ist. Sie ist jedoch genetisch sehr eng mit dem Ökotypen Co (Coimbra) aus Portugal verwandt. Te dagegen stammt aus Südfinnland (ca. 66° nördliche Breite). Es ist deutlich zu sehen, dass die Pflanzen sich in ihrem Habitus unterscheiden (z.B. Blattform, Blattlänge). Die Frosttoleranz unterscheidet sich ebenfalls deutlich, und Te zeigt bereits im nicht akklimatisierten Zustand höhere Frosttoleranz als C24 nach einer zweiwöchigen Akklimatisierung bei 4°C. Andere untersuchte Ökotypen liegen in ihrer Frosttoleranz zwischen diesen Extremen und zeigen eine klare Abhängigkeit der Frosttoleranz nach einer Akklimatisierung von der Habitattemperatur während der Wachstumsphase [5].

Analyse von Metaboliten und Genexpression

Um die molekulare Basis der beobachteten Unterschiede in der Frosttoleranz verschiedener Arabidopsis-Akzessionen zu entschlüsseln, sind in den letzten Jahren vor allem Studien zu Metabolitgehalten und zur Genexpression durchgeführt worden. Abbildung 4 zeigt als Beispiel die Gehalte der Aminosäure Prolin und der Zucker Saccharose und Raffinose. Alle drei Substanzen können isolierte Proteine und Membranen beim Gefrieren vor Inaktivierung schützen und gelten daher als mögliche Komponenten der pflanzlichen Frosttoleranz [3]. Ihre Gehalte steigen während der Akklimatisierung stark an (Abb. 4). Es ist jedoch eine große Variabilität in den Gehalten der unterschiedlichen Akzessionen erkennbar. Mithilfe einer Kopplung von Gaschromatographie und Massenspektrometrie kann man solche Analysen auf mehrere hundert Metabolite ausdehnen und dabei konnte gezeigt werden, dass die meisten pflanzlichen Metabolite während der Akklimatisierung akkumulieren [4]. Diese Akkumulation steht jedoch nicht in direktem Zusammenhang mit der Frosttoleranz unterschiedlicher Akzessionen [5].

Mithilfe von Microarray-Techniken wurde die Genexpression von Arabidopsis untersucht. Die Methode gibt einen Überblick über Veränderungen der Expression sämtlicher Gene während der Akklimatisierung. Bei den Untersuchungen zeigte sich, dass nach einer Akklimatisierung von 14 Tagen bei 4°C zwischen 1500 und 4000 Gene in ihrer Expression signifikant verändert waren. Das sind ca. 7-20% der untersuchten 22000 Gene [5, 6]. Die Anzahl der in der Expression veränderten Gene korrelierte dabei linear mit der Erhöhung der Frosttoleranz während der Akklimatisierung [5]. Dies ist ein weiterer Hinweis auf die komplexe, quantitative Basis der pflanzlichen Frosttoleranz.

Ausblick

Diese Informationen zum Verhalten von tausenden von Genen während der Akklimatisierung sind nicht nur für unser Verständnis der Anpassung von Pflanzen an natürliche Wachstumsbedingungen wichtig, sondern können auch zur gezielten züchterischen Verbesserung der Frosttoleranz von Nutzpflanzen beitragen. Dazu ist es allerdings notwendig, Schlüsselgene für die Akklimatisierung zu identifizieren, wie zum Beispiel Gene, die für Regulatoren der Genexpression wie Transkriptionsfaktoren kodieren. Ein möglicher Ansatz ist die Korrelation der Expression aller Gene mit der Fosttoleranz der verschiedenen Ökotypen. Auf diese Weise kann man Kandidatengene identifizieren, die dann zum Beispiel in transgenen Pflanzen und Mutanten auf ihre Funktion während der Akklimatisierung getestet werden können.

Originalveröffentlichungen

1.
P. Rohde, D. K. Hincha and A. G. Heyer:
Heterosis in the freezing tolerance of crosses between two Arabidopsis thaliana accessions (Columbia-0 and C24) that show differences in non-acclimated and acclimated freezing tolerance.
The Plant Journal 38, 790-799 (2004).
2.
E. Zuther, K. Büchel, M. Hundertmark, M. Stitt, D. K. Hincha and A. G. Heyer:
The role of raffinose in the cold acclimation response of Arabidopsis thaliana.
FEBS Letters 576, 169-173 (2004).
3.
D. K. Hincha, E. Zuther and A. G. Heyer:
The preservation of liposomes by raffinose family oligosaccharides during drying is mediated by effects on fusion and lipid phase transitions.
Biochimica et Biophysica Acta 1612, 172-177 (2003).
4.
C. Guy, F. Kaplan, J. Kopka, J. Selbig and D. K. Hincha:
Metabolomics of temperature stress.
Physiologia Plantarum, in press.
5.
M. A. Hannah, D. Wiese, S. Freund, O. Fiehn, A. G. Heyer and D. K. Hincha:
Natural genetic variation of freezing tolerance in Arabidopsis thaliana.
Plant Physiology 142, 98-112 (2006).
6.
M. A. Hannah, A. G. Heyer and D. K. Hincha:
A global survey of gene regulation during cold acclimation in Arabidopsis thaliana.
PLoS Genetics 1, e26 (2005).
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