Zellulose auf der schiefen Bahn

Ohne Mikrotubuli bringt die Zellulose beim Wachstum die Blattstellung durcheinander

25. April 2013

Die Natur ist voller Mathematik. Besonders faszinierend und einfach zu erkennen sind Spiralmuster, wie sie bei Sonnenblumen, Tannenzapfen oder der Blattstellung an Sprossachsen vorkommen. Diese Spiralen entstehen, weil die meisten Pflanzen neue Knospen immer genau im Abstand von 137 Grad zu ihrem Vorgänger produzieren. Normalerweise verändert sich die relative Position der Pflanzenorgane während des Wachstums nicht, da die Stängel gerade wachsen. Kappt man aber die Verbindung zwischen Zellskelett und Zellulose, kommen die Zellulosefasern auf die schiefe Bahn und die Sprossachsen der Pflanzen rotieren um sich selbst. Der Winkel zwischen den Blättern verschwindet, doch an seine Stelle treten andere, ebenso robuste mathematisches Muster. Die Ergebnisse legen nahe, dass ohne Regulierung alle Pflanzenstängel beim Wachsen rotieren würden.

Normale Arabidopsis-Pflanzen (links) bilden aufeinanderfolgende Organe im Winkel von 137 Grad, während die pom2-4-Mutante (rechts) einen Divergenzwinkel von 184 Grad aufweist. Schuld daran ist die ungerichtete Bildung von Zellulose.

Schon Leonardo da Vinci war aufgefallen, dass die Blätter an Sprossachsen keinesfalls wahllos angeordnet sind. Offensichtlich steckt ein ausgeklügeltes System hinter dieser Anordnung. Manche Pflanzen bilden immer zwei Blätter gleichzeitig, die sich genau gegenüberstehen, man spricht dann von gegenständigen Blättern. Bei anderen sind die einzelnen Blätter spiralförmig um die Sprossachse angeordnet. Letzteres hat den Vorteil, die Pflanze das Sonnenlicht optimal ausnutzen kann.

Viele Wissenschaftler haben bereits untersucht, wie solche Muster gebildet werden. Besonders die Rolle der Pflanzenhormone stand im Mittelpunkt der Forschung. Hormone beeinflussen zum Beispiel, an welchen Stellen neue Knospen angelegt werden. Doch Pflanzen verändern beim Wachsen ständig ihre Form und trotzdem sind Muster auch in ausgewachsenen Pflanzen sichtbar. Hat das Wachstum auf die Pflanzenarchitektur am Ende gar keinen Einfluss?

Staffan Persson und sein Team vom Max-Planck-Institut für molekulare Pflanzenphysiologie untersuchen die Bildung der Zellwand. Pflanzliche Zellwände bestehen hauptsächlich aus Zellulose, die von einem großen Enzymkomplex hergestellt wird, der pausenlos Zuckermoleküle zu langen Ketten verknüpft. Diese Enzyme bewegen sich kreisförmig um die Zellen herum und wandern dabei immer genau entlang der Bahnen des Zellskeletts aus Mikrotubuli. „Während der Experimente an Pflanzen, bei denen die Verbindung zwischen den Mikrotubuli und den Zellulose-synthetisierenden Proteinen fehlt, fiel uns auf, dass die Sprossachsen der Pflanzen nicht mehr gerade nach oben wachsen“, erklärt Persson. Stattdessen drehten sich die Stängel um sich selbst, immer ganz leicht nach rechts.

Normalerweise hält das Verbindungsprotein CSI1 die Zellulose-synthetisierenden Proteine auf der rechten Bahn und die Stängel wachsen gerade. Ohne CSI1 bewirken schräge Zellulosefasern eine Drehung der Stängel und die Organe verschieben sich.

Schuld an diesem konstanten Rechtsdrall der Sprossachse sind die orientierungslosen Zellulosefasern. Ohne die Hilfe der Mikrotubuli werden die Zellulosefasern immer schräger und bewirken somit eine Torsion der Sprossachse. Diese Drehung führt dazu, dass sich auch die Blattanlagen verschieben. Das Team um Olivier Hamant von der École normale supérieure (ENS) in Lyon, Frankreich, hat die Blattanlagen von Perssons Pflanzen exakt vermessen. „Während Arabidopsis-Pflanzen vom Wildtyp einen Blattwinkel von 137,5 Grad einhalten, konnten wir bei unseren Pflanzen Winkel von entweder 90 Grad oder 184 Grad beobachten“, beschreibt Erstautor Benoit Landrein die Ergebnisse. Pflanzen, die ihre Blätter im Uhrzeigersinn ausbilden, bildeten Blätter im Abstand von 90 Grad. Verlief die Blattbildung entgegen dem Uhrzeigersinn, wurden konstante 184 Grad gemessen. „Das erstaunliche ist, dass hier ein mathematisches Muster durch ein anderes ersetzt wurde“, so Hamant und Persson. Die Torsion der Sprossachse bringt zwar die spiralige Anordnung nach dem Goldenen Winkel durcheinander, etabliert dafür aber ein anderes, ebenso robustes System.

Dass wirklich die Zellulosefasern für die Drehung der Sprossachsen verantwortlich sind, konnten die Forscher in einem zweiten Experiment zeigen. Dafür vermaßen sie Pflanzen, die aufgrund einer Mutation wesentlich kürzere Zellulosefasern ausbildeten. Hier war auch die Torsion der Sprossachse geringer, was mit den vorherigen Resultaten zusammenpasste.

Der Einfluss des Wachstums auf die Morphogenese, also die Entwicklung von Organen und Geweben, wurde in entwicklungsphysiologische Studien bisher oft vernachlässigt, weil die Mechanismen dahinter unbekannt waren. „Unsere Erkenntnisse werfen ein neues Licht auf die Morphogenese,  weil sie den Beitrag des Wachstums verstehen und berücksichtigen“, so Hamant.  Außerdem zeigt die Studie, wie ein mikroskopisches Ereignis, nämlich die Trennung von Zellulose und Zellskelett, zu makroskopischen Veränderungen führen kann: einer neuen Pflanzenarchitektur. Mit diesen Resultaten und dem Verständnis über das Zusammenspiel zwischen Wachstum und Musterbildung ist es jetzt an der Zeit, Morphogenese in all ihrer Komplexität zu untersuchen.

CS/HR

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