Hybrid-Nekrose - Pflanzen mit Autoimmunerkrankung

Pflanzen passen sich durch eine spontane Veränderung ihrer Gene an neue Umweltbedingungen an. Somit können sie zum Beispiel beim ständigen Wettrüsten mit Pflanzenschädlingen mithalten. Gerade diese Gene zur Schädlingsabwehr sind es aber auch, die verhindern, dass sich einstmals verwandte Arten noch ungehindert fortpflanzen können.

Wer im Baumarkt Pflanzensamen kauft, wird auf den Päckchen fast immer den Aufdruck „Hybrid“ vorfinden. Hybrid bedeutet „Mischling“ und so sind Hybridpflanzen die Nachkommen von zwei unterschiedlichen Elternlinien. Hybridsaatgut ist beliebt bei Hobbygärtnern und Landwirten, da die Pflanzen einen kräftigen Wuchs, vermehrte Schädlingsresistenz und Anpassungsfähigkeit sowie einen extrem guten Ertrag aufweisen. Dieser positive Effekt wird von Fachleuten „Heterosis“ genannt.

Doch bei weitem nicht alle Kreuzungen bringen Hybride mit Heterosis hervor. Es kommt auch vor, dass sich statt Heterosis genau der gegenteilige Effekt zeigt. Anstatt vor Kraft und Vitalität zu strotzen entstehen manchmal Nachkommen, die sehr klein und kümmerlich aussehen, welke Blätter haben oder unfruchtbar sind. Als Hybrid-Inkompatibilität bezeichnet man diesen wenig erwünschten Effekt. Dr. Roosa Laitinen vom Max-Planck-Institut für Molekulare Pflanzenphysiologie in Potsdam beschäftigt sich mit solchen „unglücklichen“ Kreuzungen, bei denen die Eltern nicht zusammenzupassen scheinen. Ihre Arbeitsgruppe will herausfinden, wo im Genom die Ursachen dafür liegen und auf welche Wechselwirkungen sie zurückzuführen sind.

Als Modellorganismus dient ihnen die bei Pflanzenforschern beliebte Ackerschmalwand. Von über 500 verschiedenen Linien dieser Pflanzenart ist das Genom bereits vollständig sequenziert. Dieser umfangreiche Datensatz erleichtert es den Forschern, die molekularen Grundlagen der Inkompatibilität aufzudecken.

„Pflanzen, die an Hybrid-Nekrose leiden, haben von ihren Eltern Gene geerbt, die nicht kompatibel sind“, erklärt Laitinen das Phänomen. Besonders oft handelt es sich um Gene, die auch bei Verteidigungsreaktionen gegen Schädlingsbefall zum Einsatz kommen. Einzeln verschaffen sie den Pflanzen also einen Selektionsvorteil. Kommen aber zwei Varianten von diesen Genen in einer Pflanze vor, wird eine  Art Autoimmunreaktion in Gang gesetzt. Die Pflanze richtet ihre Abwehrstoffe dann nicht gegen Blattläuse und Raupen, sondern gegen sich selbst und greift mit ihrem Immunsystem die eigenen Zellen an.

Die Gene für die Schädlingsabwehr haben sich in einzelnen Pflanzenpopulationen unterschiedlich entwickelt. „Vielleicht befinden sich die Pflanzen bereits auf dem Weg zur Artbildung und sind deshalb nicht mehr miteinander kreuzbar“, ordnet Laitinen die Forschung in einen größeren Zusammenhang ein. Dieser Aspekt ist äußerst spannend, denn auch über 150 Jahre nach der Veröffentlichung von Darwins Buch „Über die Entstehung der Arten“ ist eben noch nicht so genau bekannt, unter welchen Bedingungen sich neue Arten entwickeln.

Interessant ist auch, dass der nekrotische Effekt kaum noch zu sehen ist, sobald die Pflanzen anstatt bei 16°C bei wärmeren 21°C kultiviert werden. Was aussieht wie ein Nachteil, kann sich also unter veränderten Umweltbedingungen zu einem Vorteil entwickeln und nützlich für die Pflanzen sein.

[CS]


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