Selbstverteidigung für Pflanzen

Clevere Methode verleiht Pflanzen Schutz vor Schädlingen und stellt attraktive Alternative zur chemischen Schädlingsbekämpfung dar

10. August 2017

RNA Interferenz (RNAi) ist ein natürlicher Prozess zur Genregulation, der nach neuesten Forschungsergebnissen in Pflanzen dazu genutzt werden kann, gezielt Fraßfeinde auszuschalten. Das Potential dieser Methode wird in der jüngsten Ausgabe des Magazins „Trends in Biotechnology“ beschrieben. 

RNAi und seine Funktionen

Ob Gene aktiv sind, ist abhängig davon, ob die genetische Information abgelesen und in Proteine übersetzt werden kann. Als Dolmetscher zwischen Erbgut (DNA) und Protein fungiert die RNA. Wird der Dolmetscher, also die RNA ausgeschaltet, so kann die Übersetzung in Proteine nicht erfolgen.

Der Mechanismus der RNAi sorgt aber nicht nur dafür, dass eigene Gene in einem Organismus zum Schweigen gebracht werden können, sondern dieser Prozess dient Pflanzen, Pilzen und Insekten auch dazu sich vor Viren zu schützen. Bei einer Infektion mit Viren schleusen die Erreger ihre Erbsubstanz in Form von doppelsträngiger RNA (dsRNA) in die Zelle ein, um sich dort zu vermehren. Bei der Vervielfältigung der viralen RNA in der Zelle wird diese durch das RNAi-System erkannt und in kleinere Stücke zerlegt. Die dadurch erhaltenen Bruchstücke, sogenannte siRNAs (small interfering RNAs) nutzt die Zelle anschließend für die Erkennung der fremden RNA und deren Ausschaltung.

Von der Natur abgeschaut

Diesen Mechanismus haben Wissenschaftler vom MPI für chemische Ökologie in Jena und dem MPI für Molekulare Pflanzenphysiologie der Natur abgeschaut. In früheren Untersuchungen ist es ihnen mit Hilfe dieser Methode gelungen, Kartoffelpflanzen einen Schutz gegen einen ihrer ärgsten Feinde – dem Kartoffelkäfer – zu verleihen. Sie hatten in ihren Untersuchungen dsRNA, die gegen ein lebenswichtiges Gen des Käfers, das Aktin-Gen, gerichtet ist, in die Zellen von Kartoffelpflanzen eingebracht. Den Kartoffelkäfern, die von den Kartoffelblättern dieser Pflanzen gefressen hatten, schlug das Futter im wahrsten Sinn des Wortes auf den Magen. Ihnen verging der Appetit und sie konnten sich nicht mehr weiterentwickeln, da der „Genuss“ der doppelsträngigen RNA dazu führte, dass das Aktin-Gen des Käfers nicht mehr in das entsprechende Protein übersetzt werden konnte, also stumm geschaltet wurde.

Der Clou der Forschungsarbeit lag darin zu verhindern, dass das pflanzeneigene RNAi-System die zugeführte dsRNA gleich wieder unschädlich macht und so die Wirksamkeit gegen die Kartoffelkäfer verhindert. Deshalb ließen die Wissenschaftler die dsRNA nicht vom Kern der Zelle produzieren, sondern von den Chloroplasten, die kein RNAi-System besitzen.

Vorteile und Potentiale des Verfahrens

Dieses auf der RNA-Interferenz basierende Verfahren hat mehrere positive Effekte, da sind sich die Autoren David Heckel vom MPI für chemische Ökologie und Ralph Bock vom MPI für Molekulare Pflanzenphysiologie einig. Sie sehen die Vorteile des Verfahrens einerseits darin, dass sie den Pflanzen eine Möglichkeit zur Selbstverteidigung verleihen, die den Einsatz chemischer Stoffe gegen Insekten stark reduzieren kann. „Wenn wir gezielt Hauptschädlinge mit der RNA-Interferenz-Technologie bekämpfen, erhoffen wir uns eine starke Reduktion des gesamten Einsatzes von Insektiziden“, so David Heckel. Dadurch werden gesundheitliche Risiken, die beim Einsatz von Chemikalien bestehen, vermieden und die Umwelt geschont. Statt Schädlinge, die uns unsere Ernte streitig machen, zu vergiften, sorgt die Methode dafür, dass gezielt lebensnotwendige Gene in Schädlingen ausgeschaltet werden. Optimal konstruierte RNA-Fragmente könnten ganz gezielt gegen eine einzelne Spezies und deren nächste Verwandte eingesetzt werden. In der Vergangenheit hatten genetische Modifizierungen von Pflanzen, die auf der Grundlage von in den Pflanzen gebildeten Stoffen die Schädlinge in Schach halten sollten, Bedenken hervorgerufen. „Es wurde oft kritisiert, dass diese Stoffe eine Toxizität oder zumindest eine allergische Reaktion im Menschen auslösen könnten“, so Ralph Bock. „Dieses Argument wäre mit der RNA-Interferenz vom Tisch, da bei dieser Methode keine neuen Proteine entstehen, sondern nur zusätzliche RNA gebildet wird.“  Andere positive Aspekte des Verfahrens sehen die Autoren darin, dass die von den Insekten gegen nahezu alle chemischen Mittel entwickelten Resistenzen, keine Rolle mehr spielen würden. „Darüber hinaus bietet eine RNA-basierte Schädlingsbekämpfung quasi einen Schutz zum Nulltarif, da die Pflanze diesen Mechanismus fortlaufend verwenden kann, ohne dass weitere Behandlungen notwendig werden“, so Ralph Bock. Neben den geringen Anwendungskosten und den Vorteilen für die Umwelt, verweisen Befürworter dieser Methode auf die Flexibilität bei der Suche nach Zielgenen und der Spezifität für die jeweilige Insektenart. Während die Wirkung von chemischen Pestiziden, wie beispielsweise Phosphorsäureester, das Nervensystem aller Insekten angreift, kontrolliert ein geeignetes RNA-Interferenz-Gen gezielt ein lebensnotwendiges Merkmal eines Schadinsekts.

 

Zukunftsaussichten

Dennoch müssen in der RNA-Interferenz-Technologie noch mehrere Hindernisse überwunden werden, bevor sie letztendlich in Nutzpflanzen angewandt werden kann. Für viele Nutzpflanzen, wie z.B. Weizen oder Reis, ist es bisher noch nicht möglich das Erbgut in den Chlorplasten zu verändern. Dies wäre aber der effizienteste Weg, genügend RNA-Fragmente für die erfolgreiche Bekämpfung von Fraßfeinden zu produzieren. Außerdem sind bestimmte Schädlinge in der Lage, die zusätzlichen RNA Fragmente abzubauen, wodurch das Zielgen nicht ausreichend ausgeschaltet wird und die Schädlingsbekämpfung unzureichend bleibt.

Bock und Heckel erwarten, dass die Technologie der RNA-Interferenz voraussichtlich noch 6 bis 7 weitere Jahre benötigen wird, bis sie tatsächlich im Feld angewandt werden kann. Beide Experten sind vorsichtig optimistisch, dass das Potential, welches in diesem Verfahren steckt, geeignet ist, die Debatte um den Einsatz von gentechnisch veränderten Pflanzen in der Landwirtschaft zu wandeln. „Der Kartoffelkäfer, der einst aus Colorado in den USA stammte, hat sich weltweit stark verbreitet und ist mittlerweile sogar in China angekommen,“ sagt Heckel. „Die massive Ausbreitung eines solchen Hauptschädlings, der zudem resistent geworden ist gegen alle bisher bekannten Insektizide und kaum noch wirksam bekämpft werden kann, stellt einen gewichtigen Grund dar zur Entwicklung transgener Sorten. Wir hoffen, dass die Vorteile dieser Methode so überzeugend sind, dass sie zu einem Umdenken in der Diskussion um die Grüne Gentechnik beitragen werden.“

 

Diese Arbeit wurde unterstützt durch die Max-Planck-Gesellschaft, den Europäischen Forschungsrat, die National Natural Science Foundation China, dem National Key Research and Development Program China, dem Science und Technology Department der Hubei-Provinz China sowie dem Recruitment Program of Global Experts.   

URS/UG/JD

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